Offener Brief
Antwort auf Leitartikel „Der Mythos Wahlkreis beruht auf Partei-Pfründen“ im Trierischen Volksfreund vom 20.01.2020 - abrufbar für zahlende Abonnenten HIER
Trier, 20.01.2020
Sehr geehrter Herr Kohlhoff,
vielen Dank, dass Sie in ihrem Leitartikel vom 20. Januar 2020 im Trierischen Volksfreund die notwendige Wahlrechtsreform ansprechen. Ich stimme mit Ihnen überein, dass eine weitere Vergrößerung unseres Parlaments Deutschland nicht weiterbringt. Gleichzeitig ist eine Verringerung der Wahlkreise und somit Direktmandate kein guter Weg, unsere Demokratie zu stärken.
Sie schreiben, dass die bisherige Wahlkreis-Aufteilung nur den „alten Volksparteien“, also besonders CDU, CSU und SPD, etwas bringen würde. Wir würden nur unsere Partei-Pfründe verteidigen. Dabei haben alle zur Wahl zugelassenen Kandidaten die Möglichkeit, mit der Erststimme gewählt zu werden. Die Startvoraussetzungen sind für alle gleich, weder CDU, CSU noch SPD haben die Erststimme gepachtet. Unsere wichtigste Pfründe ist das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in die politische Arbeit der jeweiligen Abgeordneten. Entgegen aller Klischees: Diäten, Dienstwagen oder Schnittchen sind den zahlreichen Abgeordneten, die ich kenne, vollkommen egal.
Besonders die Menschen im ländlichen Raum hätten Nachteile bei größeren Wahlkreisen. In einer repräsentativen Demokratie gehört die Präsenz eines Abgeordneten vor Ort zu meinem Selbstverständnis. Ob ein Bürgergespräch in Hermeskeil, ein Brückenjubiläum in Longuich oder ein Schulbesuch in Konz – das beste Mittel gegen Politikverdrossenheit ist die Sichtbarkeit politischer Arbeit und ihrer Repräsentanten. Das ist schon heute in einem Bundestagswahlkreis mit durchschnittlich 250.000 Einwohnern nicht einfach. Ein Abgeordneter, der sich vernünftig in Berlin für seine Region und die Menschen einsetzen will, hätte noch größere Schwierigkeiten, wenn die Wege noch weiter und die Anzahl der Einwohner noch größer würden. Zumal alle Wahlkreisabgeordneten – ob über Erststimme oder Liste in den Bundestag gewählt – über exakt dieselben finanziellen und logistischen Möglichkeiten verfügen. Man stelle sich nur vor, ein erfolgreicher Landarzt müsste noch mehr Patienten behandeln und weitere Strecken fahren, nur weil seine Mitbewerber sich lauthals über dessen Erfolg beschweren? Da muss ich mich schon über das offenbar mangelnde Selbstbewusstsein der Kollegen der anderen Parteien wundern, denn sie sollten zumindest selbst daran glauben, dass sie daran etwas ändern können. Fazit: Eine Wahlkreis-Vergrößerung stellt die Wähler als unmündig dar und verhindert effiziente politische Arbeit.
Das Problem liegt eindeutig bei den Listenmandaten, die nicht von den Bürgern direkt gewählt, sondern von den Parteien auf internen Parteitagen festgelegt werden. Das kann man sehr schön an den Zahlen sehen. Es gibt im Bundestag nach jeder Wahl 299 Direktmandate, diese Zahl bleibt aufgrund unseres derzeitigen Wahlgesetzes immer gleich. Enorm gestiegen ist dagegen die Anzahl der Listenmandate: 304 in 2002, 315 in 2005, 323 in 2009, 332 in 2013 und 410 in 2017. Ich denke, hier muss die Wahlrechtsreform ansetzen. Gleichzeitig bin ich mir bewusst, dass ein Kompromiss allen Seiten Vor- aber auch Nachteile bringen wird. Ich werde auf jeden Fall an einer fairen Lösung mitarbeiten, die ein Aufblähen des Deutschen Bundestags verhindert.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Andreas Steier
Foto: Lizenzfreies Symbolbild
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